Isolation statt offener Märkte: Ist der Brexit das Aus für den Handel mit der Insel?

06.12.2016 EU, UK, Grossbritannien, Europa, Crossborder-Commerce

Die Mehrheit der Briten hat am 23. Juni 2016 für einen Brexit gestimmt – den Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union. Wie der Austritt genau gestaltet werden soll, ist dabei noch unklar und wird sich innerhalb der nächsten zwei Jahre zeigen. So lange haben die Briten Zeit darüber zu verhandeln, wie der Austritt abgewickelt wird. Die Befürworter des EU-Austritts argumentieren, dass eine Unabhängigkeit von der EU gleichzeitig eine Befreiung von den strengen Gesetzen und Regularien aus Brüssel bedeutet. Doch was bedeutet der Brexit eigentlich für die Online-Händler?

Quelle: fotolia/Andrei Korzhyts

Das Ergebnis des britischen Referendums versetzte sowohl Europa als auch etwa 49 % der abstimmenden Briten in einen gewaltigen Schock. Seit Monaten wird nun heftig diskutiert, welche Auswirkung der Brexit auf Politik, Wirtschaft und das allgemeine Zusammenleben in Europa haben wird. Doch was bedeutet das mehrheitliche Nein der Briten zur EU eigentlich für den Online-Handel? Shop-Betreiber, die viele Kunden in Großbritannien haben oder mehrheitlich Waren von dort beziehen, blicken in eine ungewisse Zukunft.

Absatz- und Importmarkt Großbritannien: Folgen für Shop-Betreiber

Auf Online-Händler mit einem großen Absatzmarkt in Großbritannien kommen unsichere Zeiten zu. Aber auch wer viele Waren aus UK bezieht, muss in Zukunft mit Handelserschwernissen rechnen. In vielerlei Hinsicht ist der Brexit ein Rückschritt für den europäischen E-Commerce.

  • Zölle und Steuern: Dank des EU-Freihandelsabkommens herrscht innerhalb der EU ein barrierefreier Binnenmarkt. Waren und Dienstleistungen können innerhalb dieses Raums frei gehandelt werden. Tritt Großbritannien aus der EU aus, gelten diese Vorzüge nicht mehr und es bekommt den Status eines Drittlandes. Damit drohen Steuern und komplizierte Zollformalitäten. Kunden aus Großbritannien müssen dann auf ihre Einkäufe aus Deutschland Zölle und Einfuhrsteuern zahlen. Damit wären Einkäufe für Kunden aus UK viel teurer. Umgekehrt gilt dies natürlich auch für Online-Händler aus Deutschland, die ihre Waren aus Großbritannien beziehen.
  • Wechselkursschwankungen: Das britische Pfund wird gegenüber dem Euro an Wert verlieren. Diese Entwicklung hat bereits nach Verkündung des Brexit eingesetzt und Kurseinbrüche an der Börse verursacht. Der Kurseinbruch ist für die einen ein Fluch für die anderen ein Segen: Einerseits können europäische Händler ihre Waren günstiger aus UK beziehen. Shop-Betreiber, die Waren nach UK verkaufen, werden aber vermutlich Umsatzeinbußen zu spüren bekommen, da durch die Abwertung des Pfunds gegenüber dem Euro europäische Waren für britische Käufer teurer und damit unattraktiver werden. Wenn die Kaufkraft der Briten sinkt, müssen die Preise im grenzüberschreitenden Handel angepasst werden, damit besonders kleine und mittelständische deutsche Unternehmen überhaupt noch wettbewerbsfähig bleiben.
  • Rechtliche Aspekte: Viele rechtliche Aspekte rund um den Online-Handel sind EU-weit geregelt, z.B. durch die EU-Verbraucherrechterichtlinie. Aufwändige Einzelprüfungen für jedes EU-Mitgliedsland entfallen dadurch. Durch den drohenden EU-Austritt der Briten kann es zu Unstimmigkeiten in der Auslegung von bestehenden Gesetzen kommen. Wie eine zukünftige gemeinsame Rechtslage aussieht, steht derzeit noch in den Sternen.
  • Rechtsform Limited: Zahlreiche deutsche Händler, die in der Rechtsform der britischen Limited organisiert sind, müssen um ihre Privilegien bangen. Hier geht es insbesondere um die Niederlassungsfreiheit. Firmensitze einer britischen Limited können dann nicht mehr ins deutsche Handelsregister eingetragen werden und die strengeren deutschen Regularien bezüglich der Geschäftsführerhaftung würden greifen. Die englische Limited wird im Falle eines EU-Austritts für deutsche Unternehmer unattraktiv. Ob die Privilegien von heute auf morgen wegfallen oder es einen Bestandsschutz bzw. eine gewisse Übergangsfrist gibt, ist noch nicht geklärt.
  • Markenrecht: Inhaber von EU-Marken, so genannten Unions-Marken, müssen um ihren Markenschutz in Großbritannien bangen. Noch ist völlig unklar, ob und wie Marken weiterhin in Großbritannien geschützt sind.

Brexit – des Verbrauchers Freude ist des Händlers Leid?

Es sei darauf hingewiesen, dass nicht alle Online-Händler vom Brexit betroffen sein müssen. Wer selbst keine Waren aus Großbritannien bezieht und auch nicht viele Kunden dort hat, braucht sich erst einmal keine Sorgen zu machen. Für Verbraucher kann der Brexit sogar positive Aspekte haben: „Die Folgen des Brexits können auch positiv sein, zumindest für die Verbraucherinnen und Verbraucher, denn für sie kann es nun günstiger sein, in UK einzukaufen, was allerdings wieder Kaufkraft aus Deutschland abzieht. Der Brexit bleibt ein zweischneidiges Schwert“, sagt Oliver Prothmann Präsident des Bundesverband Onlinehandel e.V. (BVOH). Auch der britische Online-Modehändler Asos sieht sich als Gewinner des Votums. Einer der größten Wettbewerber von Zalando rechnet nach dem Verfall des britischen Pfundes mit einem steigenden Absatz im Ausland. Mehr als die Hälfte seines Umsatzes erzielt Asos bereits jetzt schon außerhalb des Heimatmarktes Großbritannien.

Insgesamt ein Rückschritt für den E-Commerce

Großbritannien ist die Nummer 1 im europäischen E-Commerce. Gemeinsam mit Deutschland und Frankreich gehören die Briten damit zu den Big Playern im europäischen Online-Handel. Im Bereich der großen und wichtigen E-Commerce-Entwicklungen, wie Online-Lebensmittelhandel, Click and Collect oder Same Day Delivery, ist Großbritannien stets europäischer Vorreiter und Vorbild. Ein Brexit ist für die Briten also entwicklungstechnisch ein herber Rückschlag. Besonders kleine und mittlere Shops werden darunter leiden, da sie die hohen Exportkosten vermutlich nicht tragen können und anders als Großunternehmen nicht so leicht Vertriebskooperationen eingehen können.

- R. Ayoub, freie Redakteurin